Alles nur Modelle
In der Oberstufe des Gymnasiums hatte ich Physik (neben Mathematik) als Leistungsfach gewählt. Physik war mein Lieblingsfach. Es half mir, die Welt zu verstehen.
Ich erinnere mich sehr gut an eine Physikstunde, in der ich sehr hartnäckig mit einer Frage für eine ganze Weile den Unterricht aufgehalten hatte. Es ging um den Welle-Teilchen-Dualismus, also das Phänomen, dass Licht sich wie eine Welle verhalten kann, aber auch wie ein Teilchenstrom. Ich hatte das alles nicht verstanden und mir irgendeine eigene Erklärung dieser Phänomene überlegt (die natürlich nur falsch sein konnte). Meine Mitschülerinnen und Mitschüler waren genervt von mir, der Physiklehrer erstaunlich geduldig. Es lief alles sehr unbefriedigend ab, irgendwie redeten wir aneinander vorbei. Notgedrungen musste die Diskussion irgendwann enden, zu meiner Enttäuschung ohne Klärung.
Eine meiner Lieblings-Sendungen im Fernsehen war zu der Zeit die populärwissenschaftliche Serie Querschnitte von Hoimar von Ditfurth. Ich bewunderte seine Fähigkeit, komplexe Sachverhalte verständlich zu erklären. Nach und nach kaufte ich mir auch alle seine Bücher. Dies führte zu einer ganz wesentlichen Schlüsselerkenntnis für mich. Sie fand während des Grundwehrdienstes statt, den ich nach dem Abi ableistete, als ich auf meiner Stube im Bett liegend in einem dieser Bücher las. (Beim Wehrdienst landete ich damals ohne jedes Nachdenken. Gegen Ende dieses Zeitraums gab es für mich jedoch eine Schlüsselerkenntnis ganz anderer Art, die mich in meinem Denken und Handeln quasi erwachsen werden ließ, ausgelöst durch den Falkland-Krieg. Aber das wäre ein eigenes Thema.)
Während ich also in diesem Buch las, wurde mir plötzlich bewusst, dass alle Konzepte der Physik gar nicht die Realität waren, sondern nur Modellvorstellungen über die Realität. Atome, Moleküle, Wärme, Energie, die ganzen Formeln und Zusammenhänge sind nur Erfindungen des menschlichen Geistes, um sich die Welt so halbwegs erklären zu können. Und wie bei allen Modellen beinhaltet dies Vereinfachungen und damit Unzulänglichkeiten. Das Welle-Teilchen-Modell hat eben nur ganz besonders offensichtliche Unzulänglichkeiten. In der Physikstunde damals fehlte mir schlichtweg der Hinweis, dass wir immer nur über Modelle sprechen. (Eine ganz typische Ursache für das Aneinander-Vorbei-Reden: Man geht von unterschiedlichen Grundannahmen aus, die aber nicht ausgesprochen werden.)
Die Forscher geben mit ihren Modellen zwar ihr Bestes, aber jedes Modell unterliegt den Grenzen des menschlichen Verstandes. Und der menschliche Verstand ist natürlich begrenzt und kann nicht alle Aspekte der Realität erfassen. Da sind wir kaum besser als Stubenfliegen, deren Verstand die Existenz von Fensterscheiben nicht erfassen kann.
Diese Erkenntnis hat weitreichende Folgen: Es entsteht eine größere Gleichberechtigung zwischen den Modellen aus verschiedenen Kulturen bezüglich ihrer Wertschätzung. Alle Modelle haben ja ihre Begrenztheit, wie z. B. auch die Modelle der westlichen Schulmedizin und die der traditionellen chinesischen Medizin. Energie-Meridiane und Chakren als Beispiel können innerhalb ihrer Grenzen auch hilfreiche Erklärungen liefern. Modelle sind unsere Notlösung, weil es weit mehr gibt, als unser Verstand erfassen kann.
© Copyright 2021 – 2025, SINNESWANDEL-N®,
alle Rechte vorbehalten